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Musik in und aus der „großen Stadt“ in konzertlosen Zeiten! Teil 9
Sven Fandrich (Bild und Text)

Unbegrenzter Hörspaß mit Limited Edition´s Berliner Konzertmitschnitte und spätentdeckten Elektro-Perlen!
Es ist Anfang Juni. Die für dieses Jahr gekauften Tickets wurden storniert oder behalten für die auf den Herbst oder in das Jahr 2021 verschobenen Events ihre Gültigkeit. So fielen leider die Abende mit Elaiza, Fat Freddys Drop und Leif Vollebekk der gegenseitigen Rücksicht vor einer Infektion zum Opfer. Mittlerweile sind auch die 2021igerTermine für die Fanta4 und Seeed Konzerte in Berlin bekannt. Was soll`s, mache ich das Beste draus und suche aus meinem Live – LP Regal ältere in Berlin live aufgenommene Alben raus. Auch schön die Platten zu spielen, die man lange nicht gehört hat. Da ich, wie alle anderen auch, nicht weiß, wann man wieder Konzerte besuchen kann, beschränke ich mich hier vorerst auf zwei älter großartige Live Alben aus der „Großen Stadt“. Gehört habe ich andere mehr, aber ich will nicht gleich mein ganzes Pulver verschießen. Vielleicht muss ich in der nächsten Ausgabe auf andere Livemitschnitte zurückgreifen. Bei der Auswahl Berliner Musiker bin ich auch einige Jahre zurückgegangen und habe mich für, von mir spätentdeckte elektronische Musik entschieden. Die Rückschau passt in die Zeit, wo die Musik- und Kulturszene leider noch am Boden liegt.
Chris Farlowe / Roy Herrington „Live in Berlin“, Featuring The Rhythm `N` Blues Train, 1991
Das Album wurde aufgenommen und veröffentlicht, als Berlin noch die Postleitzahl 1000 vor dem Namen trug. Die digital und analog mit einer Studer A 812 am 17./18. Oktober 1991 mit Unterstützung von Berliner Hi-Fi-Spezialisten aus dem „Hi-Fi im Hinterhof“ in der Kreuzberger Großbeerenstraße, im Franz Club aufgezeichnete Musik, ist mir wohl beim Kauf meines ersten nachwende Vinyl-Drehers, eines Thorens 146 MK…, im „Hinterhof“ in den Schoß gefallen. Die LP und auch CD des Konzertes wurde dort angeboten. Als ich Anfang dieses Jahres im Laden, war standen da zu meiner Überraschung einige Exemplare einer limitierten Edition an der Kasse. Ob es noch welche von den ersten 1000 limitierten Exemplaren waren oder einer Neuauflage kann ich nicht sagen. Für die Vinylausgabe hat man sich auf die 6 besten Stücke der Konzerte beschränkt. Die CD enthält 4 Tracks mehr. Der Beginn des Albums mit „Born In West Yorkshire“ verbreitet ein mitreißendes Livefeeling. Die Stimmung das Jubeln und Schreien aus dem Publikum wurde sehr gut eingefangen. Es folgt „Thrill Is Gone“ hier schalten Chris und Roy einen Gang runter, wodurch die Abbildung von Stimme und Instrumenten durchsichtiger wird, ohne dass die Musik an Spannung verliert. Der „Shakey Ground“ steht den ersten Titeln in nichts nach, einfach großartiger Blues-Rock. Seite B startet mit „Ain´t No Love“ dieser wie die zwei letzten Titel werden so mitreißend vorgetragen, dass ich nicht anders kann als mitzuwippen. Die Aufnahme ist für einen Livemitschnitt sehr gelungen. Die Musiker werden gut ortbar auf der imaginären Bühne abgebildet. Die Liveatmosphäre ist sehr gut konservieret, was dieser Aufnahme einen authentischen Klang beschert. Schade nicht dabei gewesen zu sein. Aber mit diese Platte kann ich mir jederzeit eine beeindruckende Blues-Rockvorstellung ins Zimmer zaubern. Für Bluesfans ein großer Spaß, versprochen!
Platteninformationen
Musiker: The Rhytm`n` Blues Train,
Chris Farlowe und Roy Herrington
Label: Backyard-Records Berlin, 1991,
33 rpm, LP, Gatefold Cover,
Aufnahme analog mit Studer A 812 am
17/18.10.1991 im Franz Club Berlin,
Limited Edition 379/1000
Genre: Blues-Rock
Preis: auf dem Second Hand Markt ab 50,- EUR
Musik: 1
Klang: 2
Fertigung: 1-2
The Willy DeVille Acoustic Trio „In Berlin“ with David Keyes & Seth Farber, 2002
Der Whisky-Trinker und Kettenraucher Willy DeVille verfügt über genau diese dreckig raue Stimme, die man diesem Typ Musiker oft nachsagt und die sicher auch Teil des Erfolges ist. Leider ist Willy bereits im Alter von 58 Jahren, vielleicht auch an dem einen Glas oder der anderen Zigarette zu viel gestorben. Mit seinem speziellen Stil aus Soul, Rhythm and Blues verschiedenen lateinamerikanischen Einflüssen, erspielte es sich ein hohes Ansehen in Kritikerkreisen. Der große kommerzielle Erfolg blieb ihm und seiner Band Mink deVille leider versagt. In Berlin trat er häufig auf und hier genoss er den großen Zuspruch des Publikums. Er veröffentliche allein 3 in Berlin aufgenommene Livealben.
2002: Live in Berlin (earMUSIC by eagle records), 2011: Willy DeVille – Unplugged in Berlin, Trio Concert 2002 (Meyer Records) und 2012: Willy DeVille – Live at the Metropol • Berlin, Band Concert 2002 (Meyer Records). Das auf dem Turntable liegende Werk aus 2002 überzeug durch den transparenten Klang auf Grund der reduzierten Besetzung aus Gitarre und Stimme von Willy deVille, dem Bass von David Keyes und vor allem dem perlenden Klavierspiel von Seth Farber. Musikalisch stützt sich deVille auf Blues- und Rockklassiker und präsentiert diese in authentischer unverfälschter Art. Über die Dauer des Albums verlieren die Titel etwas an Kraft und Spannung beeindrucken jedoch weiter durch ihre sehr gute Aufnahmequalität. Die Ergänzung mit 8 Live-Titeln aus einem Mink deVille Konzert in Stockholm geht in Ordnung, hätte aber auch niemand vermisst.
Für meinen Geschmack steht das Album musikalisch etwas zurück im Vergleich mit Chris Farlowe/Roy Herrington`s „Live in Berlin“, kann jedoch klanglich punkten zumal die Fertigung der 3 Scheiben ohne Makel ist. Ein hörenswertes Album!
Platteninformationen
Musiker: Willy De Ville, David Keyes & Seth Farber
Label: earMusik, 2002, 33 rpm, 3 fach-LP 180g,
Gatefold Cover, Do-CD als Beigabe,
Limited Edition 1773/4000
Genre: Blues
Preis: auf dem Second Hand Markt, aktuell selten angeboten
Musik: 2
Klang: 1-2
Fertigung: 1
Und wieder ein cooler Tipp vom Nachbarn,
BODi BiLL – „>WHAT?<“, 2011 und „TWO iN ONE“, 2010
eine Kombi aus den Erstveröffentlichungen
Mein Nachbar brachte mir letztens den ausgeliehenen Plattenstapel zurück und fragte mich, ob ich die Band Moonchild kenne. Ich musste verneinen und da er aktuell auf die Musik abfährt, hat er mir gleich zwei Do-LPs zum Reinhören auf den Retourstapel gelegt. Als ich ihm mitteilte, dass mir die Musik gut gefallen hat, aber für einen Erwerb eben nicht gut genug, war er etwas enttäuscht und hat sogleich eine neuen Tipp nachgereicht. Die Berliner Band BODi BiLL. Davon hatte ich auch noch nichts gehört. Nach dem Erwerb einer Maxi- Single und zweier Alben über die Homepage des Berliner Labels SINNBUS BLN muss ich das als Bildungslücke hinnehmen.
Bodi Bill sind eine Electronic Band aus Berlin die 2005 gegründet wurde und aus Fabian Fenk, Anton Feist und Alex Stolze besteht. Ihre Musik entsteht vollständig digital auf dem Rechner, daher hat sie ein Musikjournalist einmal „Laptop-Rocker“ genannt. Allerding hat die Musik gar nichts von Rock. Ich habe sie leider noch nicht Live erlebt, aber ihre Liveacts sollen legendär gewesen sein, mitreisend, schweißtreibend und brachten die Füße in Bewegung. Leider habe sie, bis auf eine digitale Single, seit 2011 kein Album an den Start gebracht, da jeder eigene Projekte verfolgt. Aber ihr letztes gemeinsames musikalische Lebenszeichen ist absolut hörenswert. Das Album versetzte 2011 die Musikpresse in Erstaunen. Es gibt bereits zahlreiche Spielarten elektronischer Musik, vor allem auch aus Berlin. Was die Drei hier abliefern ist anders, die Musik ist abwechslungsreicher, geschmackvoller Elektro-Pop. Die Veröffentlichungen zuvor (wie auf „Two in One“) wirken vom Sound etwas knackiger, sind somit etwas Club tauglicher. Auf „>WHAT?<“ wird die Musik in gutem Soundgewand präsentiert. Leider knistert meine Ausgabe in den Titelübergängen und leisen Passagen deutlich, was aber nur eingeschränkt nervt, weil es überwiegend dynamisch aus der Rille drängt. Eine Spaßplatte aller erster Güte, für den heimischen Plattenteller, nicht zwingend für den Club, eher für eine gelungene Gartenparty. Und eins ist sicher, alle werden wissen wollen, was das für eine fantastische Band ist.
Auf „Two in One“ finden sich 8 Mix-Versionen der Alben „No More Wars“ (2007) und „Next Time“ (2008). Die Platte wird ergänzt durch den Titel „Schallplattenspiele Remix“. Mit „Be Home Before Dinner“ und „I Like Holden Caulfield“ starten Bodi BiLL mit klasse Dancefloore-Wacklern. Danach wird ein Gang runtergeschaltet und gepflegte Elektro-Pop präsentiert. Für mich ist die Platte bereits dank Track 1 und 2 den Kauf wert.
Platteninformationen
Komposition und Produktion, BODi BiLL,
Mix & Mastering bei AKF
Label: SINNBUS Records Berlin,
2011, 33 rpm, LP, Downloadcode
Genre: Electro
Preis: 20,- EUR, über die Homepage der Band
Musik: 1-2
Klang: 2
Fertigung: 3
Platteninformationen
Komposition und Produktion, BODi BiLL,
Mastering bei Calyx in Berlin
Label: SINNBUS Records Berlin, 2010,
33 rpm, LP, Downloadcode
Genre: Electro
Preis: 13,- EUR, über die Homepage der Band
Musik: 2
Klang: 2
Fertigung: 2
TERRANOVA - „Close the Door“, 1999 und
„Hotel Amour“, 2012
1998 brachen Terranova, bestehend aus den Berliner DJ Fetisch, DJ Kaos , Marco Meister und später DJ Naughty auf ins „Neue Land“ der Musikproduktionen mit einem Beitrag für die DJ-Kicks Reihe des Berliner Labels Studio K7. Bei dieser Musikserie stellen Musiker aus der Electro Szene nach Wahl Tracks zusammen und mischen diese neu ab. Ziel der Übung ist zum einen die Clubtauglichkeit, wie zum anderen das genussvolle Hören vor den heimischen Boxen zu verbinden.
Im folgenden Jahr brachten Terranova ihr Debutalbum „Close the Door“ auf dem Hamburger Label Copasetik Recording auf den Markt.
Mit diesem Album katapultierten sich die Drei in die erste Reihe Electro-Szene der „Großen Stadt“. Der Start mit „x-files“ ist dabei etwas unspektakulär. Dabei fehlt es der Do-LP nicht an Tracks. Schon mit den folgenden Titeln „sugarhill“ und „turn around“ haben mich die Jungs für ihre Musik begeistert.
Bei „sugarhill“ scheint ein wenig Kruder & Dorfmeister durch und
bei „turn around“ glaubt man fest an die Mitwirkung von Boris Blank.
Ich denke solche Spontanassoziationen mit Größen elektronischer Musik unterstreichen die hohe Qualität der Songs. Die zwei Stücke ragen mit den Titeln „sweet bitter love“ dem Opener der zweiten Scheibe und dem Titelsong „close the door“ aus den sonst guten Songs heraus. Die Fertigung der Scheiben geht in Ordnung und der Klang baut sich druckvoll und strukturiert aus der Mitte der Boxen auf. In Summe ein mehr als bemerkenswertes Elektro-Album mit vereinzelten Hip-Hop Andeutungen. Für Freunde elektronischer Musik, wenn nicht schon bekannt, eine uneingeschränkte Empfehlung, wenn nicht sogar ein Muss für die Sammlung.
Platteninformationen
Produktion: alle Tracks aufgenommen im
Connie Plank Studio, Mastering Abbey Road Studio
Label: Copasetik Recordings, 1999, 33 rpm, DO-LP
Genre: Electro
Preis: auf dem Second Hand Markt ab 30,- EUR
Musik: 1-2
Klang: 2
Fertigung: 2-3
Das fünfte Studioalbum „Hotel Amour“ erscheint 3 Jahre später und beschreitet musikalisch anderes Terrain. Die auf dem Kölner Label Kompakt veröffentlichte Do-LP bewegt sich eher im House und Elektro-Pop Bereich. Dazu hat sich DJ Fetisch die Unterstützung vom Berliner Techno/House DJ und Produzenten &Me (eigentl. André Boadu) und Gastsänger-innen wie Tomas Heffding, Billie Ray Martin, `Snax, Udo Kier, Nicolette Krebitz und Khan gesichert. „Hotel Amour“ ist im Vergleich mit „Close the Door“ ruhiger, basskräftiger und etwas entspannter geworden. Durch die stimmliche Unterstützung ist das Werk eingängiger und spricht so ein breiteres Publikum als „Close the Door“. Beginnend mit dem DJ-Kicks Mix-Album stehen alle Studioalben im Regal und in der Gesamtschau stelle ich „Hotel Amour“ auf die gleiche Stufe meiner Beliebtheitsskala wie das Terranova Debut. Die beide Alben stehen zudem mit großem Abstand über allen anderen Veröffentlichungen der Band. Wer also den ersten Schritt auf das „Neue Land“ setzen möchte, sollte das unbedingt mit den Studioalben „Eins“ oder „Fünf“ beginnen.
Platteninformationen
Label: Kompakt, 2012, 33 rpm, Do-LP, Gatefold Cover
Genre: Electro
Preis: auf dem Second Hand Markt ab 30,- EUR
Musik: 1-2
Klang: 2
Fertigung: 1-2






